IMPULS | 02.2025
Die Orange Economy
Denkt man an Wirtschaft, kommen einem sofort Begriffe wie Automobilindustrie, Wachstum, Investitionen und Fachkräftemangel in den Sinn.
Doch es gibt einen Bereich, der in leuchtendem Orange erstrahlt und immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht: die Orange Economy.
Der Begriff „Orange Economy“ wurde von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) geprägt und umfasst alle wirtschaftlichen Aktivitäten, die aus kreativen Prozessen hervorgehen.
Die Besonderheit der Orange Economy liegt in ihrer Verbindung von Kultur und Wirtschaft. Während traditionelle Wirtschaftszweige wie die Landwirtschaft oder das produzierende Gewerbe stark von Rohstoffen und Maschinen abhängig sind, basiert die Orange Economy auf immateriellen Ressourcen: Kreativität, Wissen, geistiges Eigentum, Innovation und kulturelles Erbe.
Im Vordergrund stehen Ideen, Talente und Kreativität als treibende Kraft. Kurz: Es geht um die Kreativwirtschaft. Das mag auf den ersten Blick abstrakt klingen, ist aber erstaunlich konkret: Ein gut kuratiertes Museum, ein gefeiertes Musikfestival oder eine erfolgreiche Netflix-Serie können ökonomische Effekte nach sich ziehen, die weit über den jeweiligen Kulturbereich hinausgehen.
Nach Angaben der UNESCO macht die Orange Economy etwa 3% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus und schafft 30 Millionen Arbeitsplätze weltweit. Das macht sie zu weitaus mehr als einer netten kulturellen Nische.
Die Wahl der Farbe Orange für die Bezeichnung der Orange Economy hat mehrere symbolische Hintergründe: Orange ist eine Farbe, die häufig mit Kreativität, Lebensfreude und Energie assoziiert wird. Außerdem steht Orange für Vielfalt und Offenheit, was in der kreativen Wirtschaft eine zentrale Rolle spielt.
Die Digitalisierung spielt der Orange Economy in die Karten. Plattformen wie YouTube, Spotify oder Etsy haben die Eintrittsbarrieren für Kreative drastisch gesenkt. Heute kann ein Designer aus Berlin oder ein Musiker aus Nairobi ein globales Publikum erreichen – oft mit minimalem Aufwand. Diese Form der Demokratisierung des Zugangs schafft nicht nur neue Geschäftsmodelle, sondern verändert auch, wie wir Kultur konsumieren. Auf der anderen Seite fehlt dadurch eine gewisse Gatekeeper-Funktion wie sie früher beispielweise Plattenfirmen ausübten, die eine qualitative Vorauswahl vornahmen.
In unserer Welt, die von Massenproduktion und globalisierten Marken geprägt ist, suchen Menschen nach individuellen, authentischen Produkten, Erlebnissen und Begegnungen. Lokale Kulturprodukte, handgemachte Designs oder einzigartige Kunstwerke sind gefragter denn je.
Die Orange Economy ist aber auch kein Ponyhof, auf dem keine Probleme existieren. Wie sollte sie das auch sein? Viele Kreative arbeiten unter prekären Bedingungen, oft ohne soziale Absicherung. Das Wesen kreativer Arbeit bedingt eine Entgrenzung zwischen Kreativem und seinem Werk. Arbeit und Privatleben lassen sich nicht eindeutig trennen. Feste Arbeitszeiten gibt es in vielen Bereichen nicht, Selbstausbeutung ist keine Seltenheit.
Hinzu kommt, dass Regierungen und Institutionen den Wert der Kreativwirtschaft oft unterschätzen und entsprechend wenig fördern. Hier ist ein Umdenken gefragt: Kreative müssen als Unternehmer*innen betrachtet und unterstützt werden. Zudem muss geistiges Eigentum geschützt werden. Nie war es leichter als heute, Dinge zu kopieren oder weiter zu verwerten. Gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist das Thema der Urheberrechte weder ausreichend diskutiert und endgültig geregelt. Digitale Kunst lässt sich ohne Qualitätsverlust beliebig oft reproduzieren, was natürlich auf der einen Seite einzigartige Möglichkeiten bietet, aber auf der anderen Seite auch Gefahren birgt.
All diese Punkte sprechen für die Orange Economy machen sie zu weit mehr als einem kulturellen Nice-to-have. Sie ist ein wachsender und zunehmend wichtiger Teil der Weltwirtschaft, der Lösungen für zentrale Herausforderungen unserer Zeit bietet: von der Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze bis hin zur Förderung kultureller Vielfalt in einer globalisierten Welt. In einer Zeit, in der viele Branchen durch Automatisierung oder den ökologischen Wandel hin zu Nachhaltigkeit unter Druck geraten, könnte sich die Orange Economy als widerstandsfähige Kraft erweisen – ein Bereich, der auf der einzigartigen Fähigkeit des Menschen zur Kreativität beruht.
Die Orange Economy ist nicht nur wirtschaftlich sinnvoll. Sie bereichert unser Leben, bringt uns zum Lachen, zum Nachdenken und zum Staunen. Oder wie Pablo Picasso einmal sagte:
„Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist, ein Künstler zu bleiben, wenn man erwachsen ist.“
Vielleicht hilft uns die Orange Economy dabei.
Marek Reichert