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IMPULS | 06.2024

WARUM WIR WENIGER HERZ UND MEHR HIRN BRAUCHEN

Maren Urner: Radikal Emotional

Auf der re:publica 2024 hielt die Neurowissenschaftlerin und Bestsellerautorin Maren Urner einen Vortrag mit dem Titel „Radikal emotional: Warum wir weniger Herz und mehr Hirnbrauchen, basierend auf ihrem neuen Buch „Radikal emotional – Wie Gefühle Politik machen“.

„Was muss sich ändern, damit ich mein Leben ändere?“

Politik ist mehr als rationale Entscheidungsfindung, sie ist ein Aushandlungsprozess unterschiedlicher Gefühle. Maren Urner fordert ein Umdenken: Angesichts der sich zuspitzenden Krisen müssen wir aufhören, Verstand und Gefühl zu trennen. Konstruktive Politikgestaltung ist nur möglich, wenn wir beides zusammen denken und entsprechend handeln.

„Das Herz ist ein wunderbarer Hohlmuskel, aber Verstand UND Emotionen sitzen im Kopf.“

Seit jeher wird in gesellschaftspolitischen Debatten argumentiert, Emotionen seien Privatsache und von der beruflichen und politischen Ebene zu trennen. Emotionen müssen aber im Spiel sein, um Veränderungen zu ermöglichen. Denn es gilt: Change by Design oder Change by Disaster. Psychologische, anthropologische und neurowissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass Emotionen immer auch die politische Sphäre prägen. Trotz des Wunsches nach sachlichen Diskussionen wird die Realität von emotional aufgeladenen Debatten dominiert. Emotionen beeinflussen uns ständig – Emotionen machen Politik. Wie kann man diesem Dilemma entkommen? Der erste Schritt ist die Erkenntnis, dass auch private Entscheidungen politisch sind und wir emotional reagieren, weil wir direkt betroffen sind.

Radikale Achtsamkeit: „Was muss ich fühlen, damit ich mein Leben verändere?“

Nur wenn wir radikal achtsam mit uns selbst sind, können wir unsere eigenen Gefühle wahrnehmen und unsere Entscheidungen besser verstehen. Es gibt keine negativen Emotionen. Emotionen sind wertfrei. Nur wenn Emotionen richtig erkannt werden, ist ein angemessener Umgang mit ihnen möglich. Unsere Lebensweise, von der Ernährung über die Fortbewegung bis zum Wohnstil, hat immer auch eine politische Dimension. Wenn wir akzeptieren, dass wir sowohl emotional als auch rational sind, können wir produktiver damit umgehen. Dieser Umgang muss radikal sein und die Probleme an der Wurzel packen. Konstruktive gesellschaftliche Debatten, ob am Frühstückstisch oder im Plenarsaal, sollten lösungsorientiert sein. Es sollte immer um die Frage gehen: Wofür bin ich? Nicht wogegen.

Radikale Ehrlichkeit: Nur durch ehrliche Kommunikation können wir die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen herbeiführen.

Unser Gehirn ist darauf optimiert, Sicherheit zu suchen und Unsicherheit zu vermeiden. Das führt häufig zu Fehleinschätzungen und damit zu falschen Annahmen. Normalität ist immer zeitgebunden. Nur durch eine radikal ehrliche Kommunikation können wir die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen für eine lebenswerte Welt erreichen. Wir können alte Geschichten hinter uns lassen und neue finden. Ein gutes Beispiel ist, sich selbst zu fragen: Wie definiere ich Erfolg? Was macht für mich Erfolg aus? Das kann und sollte sich jede*r fragen und genau definieren, um nicht den Definitionen anderer zu folgen.

Radikale Verbundenheit: Nur wenn wir falsche Trennungen überwinden, können wir uns tief verbunden fühlen.

Falsche Trennungen sind zum Beispiel die Trennung zwischen Gefühl und Verstand, Privatem und Beruflichem, Umwelt und Mensch. Die Überwindung dieser vermeintlichen Trennungen ist grundlegend für das Gefühl tiefer Verbundenheit, das wiederum grundlegend für zukunftsorientiertes Denken und Handeln ist. Denn: Kooperation ist das Erfolgsrezept des Menschen. Die Grundannahme, Rationalität sei frei von Emotionen, ist grundfalsch. Folglich sind auch Ökonomie und Ökologie untrennbar miteinander verbunden. Jede private/persönliche Entscheidung ist immer auch eine politische.

Marek Reichert