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IMPULS | 04.2025

Von der Lust auf Leistung – und warum sie uns verloren ging

Arbeit galt einmal als etwas Gutes. Arbeit war Ausdruck des Könnens, des Wollens, des inneren Antriebs. Man war stolz auf Geleistetes. Heute steht Leistung unter Verdacht, Erfolg gilt als Überforderung. Was ist passiert?

Zwischen Sehnsucht und Sinnkrise

Überstunden gelten mittlerweile als Zeichen von Überanpassung, Dienstbereitschaft als Naivität, Termintreue als Workaholismus. Wer sich für seine Arbeit begeistert, erntet schräge Blicke: „Burnout-Kandidat!“ Stattdessen ist die Rede von „Work-Life-Balance“, vom „Ausstieg auf Zeit“, von „New Pay“, „Jobsharing“ und „Quiet Quitting“.

Als hätten wir alle beschlossen, unsere Jobs nur noch halb zu machen – bis zur Rente mit 63. Und die Schuldfrage scheint bereits geklärt: Die Arbeit ist schuld. Die Struktur, die Taktung, das System. Doch was, wenn das Problem nicht allein in der Arbeit liegt – sondern in unserer Haltung zu ihr?

Es ist eine merkwürdige Diagnose. Denn zugleich ist überall zu hören: Wir suchen nach Erfüllung. Nach sinnstiftender Tätigkeit, nach Purpose, nach einem Beruf, der sich auch wie Berufung anfühlt. Ein Paradox: Wir kritisieren die Arbeit – und sehnen uns zugleich nach Identifikation mit ihr.

Die große Entkopplung

Wenn man mit Mitarbeitenden spricht, wird schnell ein Muster erkennbar. Viele haben das Gefühl, viel zu tun – und wenig zu bewirken. Sie sind beschäftigt, aber nicht wirksam. Sie arbeiten, aber das Ergebnis ihrer Anstrengung bleibt unsichtbar. Im digitalen Nebel verschwimmen Tätigkeit und Wirkung. Das Meeting ist erledigt, doch die Frage bleibt: Und was ist jetzt anders?

Das ist der psychologische Bruch unserer Zeit. Unsere Hirne sind nicht dafür gemacht, auf Symbole, Prozessdiagramme und Managementdeutsch zu reagieren. Unser Belohnungssystem will Impact, Reaktion, Resonanz spüren. Es will sehen, was wir geleistet haben. Es will Werkstolz. Diese Erkenntnis ist fundamental – und sie ist psychologisch tief verankert.

Der Philosoph Camus sprach vom glücklichen Sisyphos, jenem Menschen also, der selbst im ewigen Aufrollen eines Steins ein Gefühl von Selbstbestimmung finden kann. Was zählt, ist nicht allein das Ergebnis, sondern die Erfahrung: „Ich bewirke etwas. Ich kann etwas. Ich bin Teil von etwas.“

Und genau dieser Stolz wird systematisch aus unserem Alltag gedrängt. Je größer das Unternehmen, je virtueller die Interaktion, je entfernter der Kunde – desto absurder erscheint das eigene Tun.

Ökonomie trifft Psychologie – und verliert

In Wahrheit steckt unsere Vorstellung von Leistung noch immer im industriellen Denken fest. Messbar muss es sein, effizient, kontrollierbar. Wir verwechseln Auslastung mit Engagement, Anwesenheit mit Produktivität und KPI-Erreichung mit Sinn.

Doch Leistung entsteht nicht aus Kontrolle. Sondern aus der Verbindung von Tätigkeit und Wirkung, aus dem Gefühl von Selbstwirksamkeit. Ohne die Hygienefaktoren guter Arbeit (Fairness und faires Gehalt, Sicherheit, wertschätzende Führung etc.) kleinreden zu wollen, ist es doch die Psychologie, die zentral für eine echte, nachhaltige Motivation ist: Wenn ich weiß, was ich da eigentlich mache – und wenn ich erkenne, dass es etwas bedeutet.

Genau das wird in wachsender Komplexität aber immer schwieriger. Der Klassiker: Am Ende des Tages ist die Cloud um ein paar Megabyte gefüllt – und niemand kann sagen, was eigentlich erreicht wurde.

Zu vieles ist verwaltet, verwischt, verzettelt. Und so stellt sich der Arbeiter im Geiste – oder auch der Projektleiter im Halb-Hybrid-Hustle – irgendwann die bange Frage: wofür eigentlich?

Führung, wie sie sein müsste

Wir müssen aufhören, Arbeit als Problem zu rahmen.
Denn Arbeit ist nicht das Problem. Arbeit ist der Möglichkeitsraum, in dem wir wirken können. Die Frage ist, wie man diesen Raum gestaltet.

Führungskräfte haben heute eine große Aufgabe. Oft ignorieren sie diese verschüchtert. Sie sollten nicht nur Work-Life-Kompensatoren sein. Sie müssen echte Ermöglicher werden. Möglichmacher von Selbstwirksamkeit, von individueller Entfaltung. Das tun sie, indem sie einerseits Orientierung bieten – und anderseits Freiräume schaffen. Indem sie hinschauen: Was kann dieser Mensch? Was treibt ihn an? Was blockiert ihn? Und: Wie kann ich als Führungskraft helfen, dass aus Motivation Umsetzung wird?

Das ist mehr als Coaching und Feedback. Das ist Arbeit am Menschenbild. Die Vorstellung, dass Menschen grundsätzlich motiviert sind – wenn man ihnen nicht im Weg steht. Man muss sie nicht zwingen, sondern ermöglichen.

Werkstolz schlägt Wohlstandsbauch

Vielleicht ist das das eigentliche Missverständnis unserer Zeit: Wir glauben, Menschen wollen leichter arbeiten – dabei wollen sie wirksam arbeiten. Wenn jemand kündigt, weil er „keinen Bock mehr“ hat, ist das oft nicht Faulheit, sondern zu viel Frust. Nicht selten steckt dahinter die Erkenntnis: Ich kann hier nicht zeigen, was ich draufhabe. Ich werde übersehen. Ich langweile mich zu Tode. Ich kann nichts gestalten. Ich bin nur ein Stück Excel.

Daraus erwächst kein Ehrgeiz, kein Stolz, kein Elan. Kein Wunder also, dass sich viele innerlich zurückziehen – oder ganz gehen. Dabei ist die Wahrheit ebenso einfach wie unbequem: Wenn Menschen sich in ihrer Arbeit wiedererkennen, dort sichtbar, bedeutsam, gebraucht sind – dann ist ihnen der Feierabend gar nicht mehr so heilig wie angenommen. Nicht weil sie ausbrennen wollen, sondern weil sie brennen.

Die Leistung der Zukunft ist die Freude am Machen

Leistung ist keine rein ökonomische Größe mehr. Sie ist ein psychologisches Produkt. Je besser die Übereinstimmung von Aufgabe und Fähigkeit, von Rolle und Identität, desto stärker der innere Antrieb, desto größer die Bereitschaft, mitzugehen, durchzuziehen, Verantwortung zu übernehmen.

Was wir brauchen, sind Arbeitsplätze, die fordern – aber in einer Weise, die fordert, weil sie zutraut. Nicht knechtet, nicht plattbügelt, nicht belächelt. Sondern anerkennt: Da ist jemand, der kann was. Und will was. Machen wir was draus.
Lust auf Leistung ist kein naiver Ruf nach höherer Produktivität.

Es ist ein psychologisches Plädoyer für eine der tiefsten menschlichen Erfahrungen überhaupt: Das Gefühl, durch eigenes Tun die Welt ein Stück besser zu machen – und sich selbst dabei nicht zu verlieren.
Und wer weiß: Vielleicht, wenn wir das wieder spüren – wollen wir gar nicht weniger arbeiten. Sondern bloß anders. Und mit einem Lächeln.

Ingo Hamm

Wer sich für die m.next Podcast-Folge „Warum?“ mit Ingo Hamm interessiert, findet sie hier: https://m-next.marbet.com/warum/